Alkohol-Co-Abhängigkeit

Mit keiner anderen Droge geht unsere Gesellschaft so kurios um, wie mit Alkohol. Einerseits ist sein Konsum selbstverständlich, andererseits ist er verpönt. 

In Gesprächen beim Arzt erklären viele Menschen, sie würden gar keinen Alkohol trinken. In meiner Sprechstunde erlebe ich regelmäßig, dass mir Patienten auf die Frage „Rauchen Sie?“ antworten: „Nein, und Alkohol trinke ich auch nicht.“ Das irritiert mich immer wieder, weil ich an der Stelle gar nicht nach Alkohol gefragt habe. Ich hake dann aber manchmal nach: „Sie trinken gar keinen Alkohol, auch nicht zu Silvester oder zu Geburtstagen?“ Und erhalte oft die Versicherung: „Nein, nie.“ Das verwundert, wenn man weiß, dass laut OECD-Bericht der durchschnittliche Deutsche ab 15 Jahren 12,9 Liter reinen Alkohol pro Jahr trinkt, was circa 2,6 Flaschen Wein oder 5 Liter Bier pro Woche (!) entspricht. 

Ich gebe zu: Der Umgang mit Alkohol ist schwierig, muss gelernt werden und bedarf großer Verantwortung vor allem sich selbst gegenüber. Ich trinke gern guten Wein. Aber eben nur hin und wieder. Sie sollten in keinem Fall jeden Tag Alkohol trinken, sondern jede Woche mehrere Tage ganz ohne auskommen. Seien Sie sich selbst gegenüber ehrlich. Schaffen Sie es wirklich ohne Probleme, fünf Tage am Stück komplett auf jeden Tropfen Alkohol zu verzichten? Wenn Sie unsicher sind, probieren Sie es aus. Und gehen Sie noch einen Schritt weiter und versuchen, mal mehrere Wochen ohne auch nur ein Glas Wein, Sekt, Bier oder Ähnliches auszukommen. 

Eine besonders schwierige Situation ist es, wenn in der direkten Umgebung jemand in die Alkohol-Abhängigkeit abrutscht: Partner, Vater, Mutter oder gar Tochter oder Sohn. Den Angehörigen ist die Abhängigkeit peinlich. Sie helfen dem Betroffenen häufig, Flaschen zu verstecken – und verstecken den Abhängigen schließlich selbst. Eine Fahne, unsicheres Gehen oder Sprechen sollen andere nicht mitbekommen. Das ist verständlich, aber leider der falsche Weg. Auf diese Weise wird dem Alkoholiker vermeintlicher Schutz gewährt. Oft wird ihm noch gut zugeredet. 

Was die Angehörigen (meist) nicht wissen, ist, dass sie die Abhängigkeit des Betroffenen damit aufrecht erhalten, sogar fördern. Und, sie geraten selbst in eine – indirekte – Abhängigkeit, eine Co- Abhängigkeit. 

Der richtige Umgang mit einem Alkoholabhängigen, der einem nahe steht, ist schwierig: Sprechen Sie dem Betroffenen gegenüber Ihre Einschätzung offen an. Lassen Sie sich nicht beschwichtigen. Schimpfen Sie nicht mit ihm, helfen Sie ihm aber auch nicht. Besorgen Sie ihm in keinem Fall Alkohol. Vertuschen Sie die Abhängigkeit auch nicht gegenüber Dritten, melden Sie ihn nicht bei seinem Arbeitgeber stellvertretend krank, das muss er schon selbst machen. Rechnen Sie damit, dass der Alkoholiker Sie seinerseits beschimpft. Gerade, wenn in Ihrer nächsten Umgebung jemand betroffen ist, brauchen Sie selbst Hilfe. Sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt. Suchen Sie eine Beratungsstelle auf oder eine Selbsthilfegruppe.