Männer, traut euch!

In Geschlechterfragen wird die öffentliche Debatte von Themen bestimmt, die sich mit Frauen beschäftigen. Da geht es um Forderungen nach Quoten in Parteien und Vorständen, oder um angebliche oder tatsächliche Unterschiede in der Höhe von Gehältern. Es ist gut, dass das Thema Gleichberechtigung seit Jahren einen hohen Stellenwert in der öffentlichen Debatte hat, dass Sexismus und Diskreditierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechtes diskutiert und bekämpft werden. Aber wie bei so vielen Diskussionen, die in den letzten Jahren in unserem Land geführt werden, gehen irgendwann Sachlichkeit und Ausgewogenheit verloren und werden durch eine Empörungskultur und Vereinfachungen ersetzt. Wer sich mit den Themen Rechte von Frauen, Gesundheit von Frauen und Gewalt gegen Frauen beschäftigt, kann das nur seriös tun, wenn er die gleichen Themen auch bei Männern zulässt. Und in der Tat gibt es in Bezug auf Männer einige Dinge, die wir diskutieren sollten: Dass auch Männer Opfer von Gewalt werden zum Beispiel, sogar häufiger als Frauen. Aber auch, dass Männer öfter Selbstmord begehen. Dabei werden Depressionen bei Männern seltener diagnostiziert als bei Frauen. Die sind jedoch die häufigste Ursache für Selbstmord. 

Depressionen äußern sich bei Männern oft anders als bei Frauen. Zum Beispiel in erhöhter Reizbarkeit oder in Aggressionen, aber auch in vermehrtem Alkoholkonsum oder riskantem Verhalten. Männer haben also wahrscheinlich häufiger Depressionen als Frauen, sind jedoch seltener in psychologischer Behandlung. Die allgemeine Stimmung in unserer Gesellschaft in Bezug auf die Geschlechter mit großer Aufmerksamkeit und Empathie für Frauen, aber einer eher despektierlichen Haltung gegenüber Männern, dürfte gerade bei sensiblen Männern die Bereitschaft, sich Hilfe zu suchen, eher noch vermindern. 

Gefordert sind natürlich zunächst die betroffenen Männer selber. Erster Ansprechpartner kann der Hausarzt sein. Aber auch Ärzte und Therapeuten sollten eine größere Sensibilität entwickeln dafür, dass sich Stimmungstiefs und Depressionen bei Männern oft anders äußern, als bei Frauen. Häufig eben nicht in offensichtlicher Traurigkeit, Hilflosigkeit, in Libidoverlust oder Antriebsschwäche. Gerade hinter einem scheinbar besonders starken Mann kann sich ein Depressiver verbergen. Und auch wenn Partnerinnen darüber klagen, dass ihr Mann sich verändert hätte und häufig unzugänglich und gereizt ist, sollte eine Depression als mögliche Ursache zumindest in Betracht gezogen werden. 

Aber auch die gesamte Gesellschaft ist gefordert: Aufmerksamkeit für die Interessen von Frauen ist klasse, die gleiche Aufmerksamkeit haben aber auch Männer verdient. Diskreditierungen von Männern in Wort, Bild und Tat sollten ebenso diskutiert sowie sanktioniert werden wie die von Frauen (und der Begriff alter, weißer Mann ist in gleicher Weise abzulehnen wie jede andere Diskriminierung – auch dazu sollte sich eine liberale Gesellschaft bekennen).